

Der Höhepunkt der sportlichen Laufbahn des russlanddeutschen Leichtathleten Walerij Brumel fiel in die 1960er Jahre. Sein Leben ist ein Beispiel für einen außergewöhnlich starken menschlichen Willen, mit dessen Hilfe man selbst die schwersten Prüfungen des Schicksals erfolgreich bestehen kann

Walerij Brumel kam im April 1942 in einer Geologen-Familie während einer Expedition im Fernen Osten der Sowjetunion (Bezirk Tyndin, Region Amur) zur Welt. Sein Vater Nikolaj Alexandrowitsch Brumel stammte aus einer Familie von Deutschbalten, auch bekannt als Ostseedeutsche
CAMPIONI DELLO SPORT 1966/67 - Figurina/Sticker n. 48 - V. BRUMEL
Der Nachname Brumel tauchte in Europa in verschiedenen Jahrhunderten wiederholt auf. Zu den entfernten Vorfahren des sowjetischen Athleten gehörte auch der im Elsass geborene Komponist Antonio Brumel (1470-1520), der in Paris und Lyon zur Zeit der Renaissance schuf. Tamara Liwanowa schreibt in ihrer Enzyklopädie „Istorija muzyki“ („Musikgeschichte“), dass Antonio Brumel das bekannte Chanson-Genre entwickelte
In der Sowjetzeit, einer Zeit der Verherrlichung des Proletariats, waren solche Details in der Familiengeschichte gefährlich. Deutsche Wurzeln bedeuteten für viele Bewohner der UdSSR Verfolgung. Das bekam auch Walerijs Vater zu spüren: Während der Massenrepressionen wurde
Nikolaj Brumel verhaftet und verurteilt
Durch ein Wunder gelang es ihm, einer Erschießung zu entkommen. Nach seiner Entlassung aus der Haft konnte er in den früheren Beruf zurückkehren und wurde später sogar befördert. Geologische Expeditionen waren während des Zweiten Weltkrieges eine strategische Branche, kontrolliert vom Staatlichen Verteidigungsausschusses (GKO). Das Ehepaar Brumel begab sich auf eine weitere Expedition, wo im Frühjahr 1942 ihr Sohn Walerij geboren wurde

Alles wird so kommen, wie es kommen soll, aber man muss sein Leben so aufbauen, wie man es selbst will

Über seine Kindheit schreibt der zukünftige beste Leichtathlet des Planeten in dem 1979 in der Zeitschrift „Molodaja Gwardija“ („Junge Garde“) veröffentlichten Roman „Ne izmeni sebe“ („Bleib Dir selbst treu“). In einem Kapitel erzählt er, er habe anfangs keinerlei Talente besessen, auch nicht im Sport. Aber es habe immerhin etwas gegeben: Während der Schulzeit habe sich sein Charakter geformt, und er habe sich das Ziel gesetzt, stark zu werden. Ein Zitat aus seinem Buch: „Alles wird so kommen, wie es kommen soll, aber man muss sein Leben so aufbauen, wie man es selbst will“

120
Der Aufstieg des Sportlers begann in einem Sommercamp für Kinder. Während eines Camp-Wettbewerbs sprang er unerwartet 120 cm in die Höhe, was ihm und seinem Team den Sieg sicherte. Nach der Rückkehr aus den Ferien blieb jedoch keine Zeit für neue Rekorde: Das Familienoberhaupt, Nikolaj Brumel, wurde befördert, und die Eltern beschlossen, aus dem Fernen Osten in die Ukraine zu ziehen. Brumel der Ältere bekam 1954 eine Stelle in Woroschilowgrad (heute Luhansk)
175
Nach dem Umzug besuchte der 13-jährige Walerij eine Sportschule, wo er mit älteren Kindern trainierte. Zwei Jahre später gewann der Teenager Silber bei der Meisterschaft der ukrainischen Schüler mit einem Ergebnis von 175 cm, anschließend eroberte er die Zwei-Meter-Latte. Fleiß, Ausdauer und Zielstrebigkeit schmiedeten aus ihm einen großartigen Sportler
Nationalmannschaft
Nach der Schule traf Walerij selbstständig die Entscheidung, Luhansk zu verlassen. Nach einer Weile zog er in die Hauptstadt, wo er an die Moskauer Hochschule für Sport ging und von den besten Trainern des Landes betreut wurde. Diese nahmen ihn schließlich in die Leichtathletik-Nationalmannschaft der UdSSR auf und begannen, ihn auf die Olympischen Spiele in Rom vorzubereiten
Walerij sah nur wenig von der ewigen Stadt, die er besuchte, um an Olympia 1960 teilzunehmen. Die Olympischen Spiele wurden nicht nur zu einem sportlichen, sondern auch zu einem „politischen“ Wettkampf. Und natürlich waren die Hauptrivalen der sowjetischen Nationalmannschaft die Amerikaner. Dem sowjetischen Athleten Brumel stand John Curtis Thomas gegenüber. Westliche Journalisten zeigten großes Interesse an dem jungen Talent aus der UdSSR. Eine einzigartige Videoaufnahme von damals zeigt seine Vorbereitung auf den nächsten Rekord

Mit jedem Mal gelang es Brumel, immer neue Höhen zu nehmen. Im Jahre 1961 besuchte er John Thomas‘ Heimat und wurde bei Wettkämpfen in New York zum ersten ausländischen Leichtathleten der Geschichte, der den Titel des US-Meisters gewann. Bereits 1963 hat er die 2,28-Meter-Latte überwunden! Dieser Rekord hielt acht Jahre.
Für seine Leistungen wurde Walerij Brumel 1962 und 1963 zweimal als bester Athlet des Planeten ausgezeichnet
Beim Training in Rom, erinnerte sich Walerij, sei Thomas ruhig und gelassen gewesen. Bei den Wettkämpfen selbst erhielt er jedoch nur Bronze (214 cm) und blieb hinter den sowjetischen Springern Robert Schawlakadse (216 cm, Gold) und dem 18-jährigen Walerij Brumel (216 cm, Silber) zurück. Bei den Olympischen Spielen in Tokio (1964) wiederholte sich die Geschichte: Der amerikanische Athlet erhielt trotz des aufgestellten olympischen Rekordes von 218 cm Silber, während Walerij Brumel ihn überholte und Gold gewann
Seine sportliche Karriere ging bergauf und sein persönliches Leben, wie es schien, auch: Walerij heiratete, ein Sohn wurde geboren. Aber das Schicksal bereitete dem Sportler schwere Prüfungen vor. Im Oktober 1965 hatte er einen Motorradunfall und erlitt einen Beinbruch, dann reichte auch noch seine erste Frau die Scheidung ein. Es dauerte zwei Jahre, bis die Gesundheit wiederhergestellt war. Die Rehabilitation wurde von dem berühmten sowjetischen Arzt Gawriil Ilisarow durchgeführt. Mithilfe eines von ihm entwickelten Geräts wurde der Sportler wieder auf die Beine gestellt. 32 Operationen waren dazu erforderlich. Gleichzeitig konnte Walerij endlich sein Studium abschließen und ein Hochschuldiplom erhalten

Es folgte eine zweite Heirat, in der eine Tochter geboren wurde. Doch auch diese Ehe wurde bald geschieden. Walerij trainierte weiter, zeitgleich begann er sich als Autor zu betätigen. Mehrere seiner Werke wurden veröffentlicht: „Doktor Nazarov“, „Olimpijskaja komedija“(„Olympische Komödie“), „Rëv tribun“ („Das Brüllen der Tribünen“), sowie der Roman „Ne izmeni sebe“ („Bleibe Dir selbst treu"), der in sieben Sprachen übersetzt wurde. In den 1970er Jahren war Brumel mit Sänger Wladimir Wysotskij, Ballerina Maja Plisetskaya und Fernsehmoderator Jurij Senkewitsch befreundet
1992 feierte Brumel sein 50-jähriges Jubiläum, heiratete wieder und wurde zum dritten Mal Vater. Wenn es auch Liebe auf den ersten Blick war, so erinnert sich seine Frau Swetlana doch daran, dass es ungefähr ein Jahr dauerte, bis sie den Heiratsantrag annahm. In den letzten Jahren seines Lebens widmete Brumel sich der Erziehung seines jüngsten Sohnes, der in die Fußstapfen seines Vaters trat und Leichtathlet wurde
Walerij Nikolajewitsch Brumel starb unerwartet: Ärzte diagnostizierten eine aggressive Krebsform, die Krankheit schritt schnell voran. Am 26. Januar 2003 hörte sein Herz auf zu schlagen. Als Anerkennung für seiner Lebensleistung bot das Sportministerium der Russischen Förderation Brumels Familie an, den Sportler auf dem Nowodewitschij-Friedhof für berühmte Persönlichkeiten in Moskau beerdigen zu lassen

Tokyo (Japan), 21. Oktober 1964
Der Athlet hinterließ nach seinem Tod ein großes Vermächtnis:
Niemand hat bisher öfter Weltrekorde im Hochsprung aufgestellt, als Walerij Brumel


